Heimatgefühl im Studium Teil 1: Zwischen Entfremdung und Verwurzelung

04.11.2015

Glücklich seinStudienortStudienzeitStudiumUni
Author: Anna
Autor*inAnna
Studierende wartet am Bahnhof auf ihren Zug in die Heimat

Der Umzug weg aus der Heimatstadt und hin zur Universitätsstadt gehört für die meisten von uns zum Studium dazu. Weniger als ein Viertel der deutschen Studierenden bleibt zu Hause wohnen. Die anderen zieht es, ob freiwillig oder unfreiwillig, in andere Städte, Bundesländer, ins Ausland. Unweigerlich verändert sich damit auch unser Verhältnis zur Heimat. Und so sehen sich jedes Semester aufs Neue tausende von uns zerrissen zwischen einer Entfremdung und einer zunehmenden Verwurzelung zur Heimatstadt, der Familie, den alten Freund*innen. Ich habe mit Leon und Nathalie gesprochen, deren Verhältnis zur Heimat sich völlig unterschiedlich gestaltet.

Hallo ihr beiden. Danke, dass ihr euch Zeit genommen habt für unser Interview. Wie weit habt ihr euch denn für euer Studium von der Heimat entfernt?

Nathalie: Für mein Psychologiestudium bin ich nach Dresden gezogen. Ich komme aus Stuttgart, das ist also ein großer Schritt für mich gewesen. Aber ich habe mich von Anfang an darauf gefreut.

Leon: Bei mir ist die Entfernung im Vergleich dazu eher gering. Für mein BWL Studium bin ich von meiner kleinen Heimatstadt im Ruhrgebiet ins etwa 150 km entfernte Köln gezogen. Das war für mich zu weit, um zu pendeln, aber nah genug, um den Kontakt in die Heimat zu halten.

Wie oft fahrt ihr in die Heimat und warum?

Nathalie: Ich bin nicht mehr oft zu Hause, eigentlich nur noch zu Geburtstagen oder so. Am Wochenende unternehme ich nun meistens etwas mit meinen Freunden in Dresden. Da habe ich gar kein Bedürfnis, ständig nach Hause zu fahren. Davon abgesehen: ich könnte es mir gar nicht leisten, so oft in die Heimat zu fahren.

Leon: Ich bin eigentlich jedes Wochenende in der Heimat. Ich weiß, dass das oft ist, aber mir ist es einfach wichtig, mein Leben dort nicht aufzugeben. Meine Freundin wohnt dort, ich spiele im Fußballverein. Im Gegensatz zur Anonymität in Köln freue ich mich dann jedes Mal wieder auf meine alten Freunde.

Nathalie: Ich breche ja nicht alle Zelte hinter mir ab, zu meinen engsten Freunden habe ich noch immer Kontakt. Aber ich will einfach nicht in der Vergangenheit leben.

Ihr habt eure Freunde in der Heimat bereits angesprochen. Wie sieht euer Kontakt zu euren alten Freunden aus? Haben sich die Freundschaften verändert?

Nathalie: Mein Freundeskreis in Stuttgart hat sich schon erheblich verkleinert. Wenn man nicht mehr zu Hause wohnt merkt man, dass man mit vielen nur befreundet war, weil man sie jeden Tag in der Schule gesehen hat. Anfangs hatte ich noch mit relativ vielen Leuten Kontakt, aber wenn man sich länger nicht sieht, gehen einem irgendwann die Gesprächsthemen aus. Man wird sich immer fremder. Viele Freundschaften leben eben doch von Gemeinsamkeiten. Andererseits zeigt sich jetzt, wer die wirklich wichtigen Freunde sind. Zu denen habe ich nämlich immer noch Kontakt.

Leon: Das mit den Gemeinsamkeiten kann ich bestätigen. Man möchte sich mit seinen Freunden ja auch austauschen, aber wenn irgendwann der gemeinsame Hintergrund fehlt, wird es schwierig. Deshalb ist es mir so wichtig, meine Freunde in der Heimat oft zu sehen. Je mehr man miteinander unternimmt, desto weniger entfremdet man sich. Darunter leiden natürlich meine Kontakte in Köln. Anscheinend kann man nicht alles haben…

Nathalie: Nicht unbedingt. Ich denke, wenn man sich gegenseitig wichtig ist und die Freundschaft pflegen will, geht das auch, wenn man nicht mehr in der gleichen Stadt wohnt. Wenn man sich seltener sieht, ist es dann aber immer etwas Besonderes. Es geht sicherlich beides, es ist nur aufwendig.

Jetzt, wo ihr von zu Hause ausgezogen seid – wie hat sich euer Verhältnis zur Heimat verändert? Mit welchen Gefühlen denkt ihr heute an eure Heimat?

Leon: Ich habe einfach gemerkt, wie wichtig diese Verwurzelung zu meiner Heimat für mich ist. Als ich noch in meiner Heimatstadt gewohnt habe, hat sie mich oft genervt, weil alles so klein und beschaulich war. Jetzt, wo ich den Vergleich habe, weiß ich die Ruhe zu Hause zu schätzen. Kann sein, dass ich durch den Abstand meine Heimat etwas verklärt sehe. Aber ich denke, das gleiche Heimatgefühl für seine Studienstadt zu entwickeln ist nicht möglich.

Nathalie: Das gleiche Gefühl von Heimat gibt es nicht noch mal, das stimmt. Aber Dresden ist nun für mich eine andere Art von Heimat. Die, in der ich erwachsen geworden bin. Wenn ich an Stuttgart denke, dann denke ich vor allem an meine Familie. Das Verhältnis zu meinen Eltern hat sich erheblich verbessert. Was den Rest angeht – ja ich denke, da habe ich mich schon etwas entfremdet.

Zum Abschluss noch eine Frage. Wo seht ihr euer zu Hause in der Zukunft? Könnt ihr euch vorstellen, in eure Heimatstadt zurückzukehren?

Nathalie: Ich kann nicht ausschließen, dass ich einmal zurück nach Stuttgart gehen werde. Momentan kann ich es mir aber nicht vorstellen. Ich möchte lieber noch ein bisschen rum kommen und an verschiedenen Orten leben, bevor ich irgendwo sesshaft werde. Das gehört doch auch irgendwie zum Studium dazu, finde ich.

Leon: Also ich muss nicht um jeden Preis immer wieder umziehen, nur weil das vielleicht aufregender ist. Mir ist es wichtiger, mich an einem Ort völlig heimisch zu fühlen. Deshalb kann ich mir auch gut vorstellen, nach dem Abschluss wieder zurück in meine Heimatstadt zu ziehen. Ich denke, das ist einfach eine Typsache.

Bilder: gratisography.com