Mit Schlaftabletten durch das Studium – Wenn die Uni schlaflos macht

23.09.2015

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Author: Joanna
Autor*inJoanna
Studierende begräbt schalflos ihren Kopf unter dem Kissen

Sechs Jahre lang gehörte für Luisa (28) die Schlaftablette am Abend zum festen Ritual. Wie knapp 1,2 Millionen Menschen in Deutschland, war auch die Studentin der Geisteswissenschaften von dem Beruhigungsmittel abhängig. Immer mehr Student*innen kommen mit dem Druck und dem Stress an der Uni nicht klar. Die Folge: Angstzustände, Depressionen und Psychosen. Doch die Einnahme von Tabletten hat verheerende Folgen, wie uns Luisa in einem ehrlichen Gespräch erzählt hat.

“Früher, als ich mit meinem Studium anfing, da hätte ich niemals gedacht, dass ich einmal Schlaftabletten brauchen würde, um abends überhaupt einschlafen zu können. Vor allem nicht, dass ich diese fünf Jahre regelmäßig einnehmen würde. Ich hatte vor meinem Studium nie Probleme mit meinem Schlaf gehabt. Ich war jetzt aber auch keine Person, die einfach mal so vor dem Fernseher eingeschlafen wäre und auch in der Bahn oder im Bus sind mir nie die Augen so richtig zugefallen. Es fing damit an, als ich im zweiten Semester in eine eigene Wohnung gezogen bin, die Straße vor dem Haus war stark befahren und es war laut. Ich war irgendwann im Winter ziemlich ausgelaugt von der Uni und meinem Nebenjob und länger krank gewesen, da fing es mit den Schlafstörungen an. Plötzlich konnte ich einfach nicht einschlafen, habe mich im Bett hin- und hergewälzt über Stunden, bin halb wahnsinnig geworden. Ich wusste nicht, was ich mit mir anstellen soll, am nächsten Tag war ich völlig durch, total zerfahren. In der Uni konnte ich mich immer weniger konzentrieren, war müde und nachmittags schrie mein Körper danach sich hinlegen und eine Runde schlafen zu können. Ich kaufte mir Oropax gegen den Lärm und holte mir in der Apotheke das stärkste, was man zum Beruhigen und Einschlafen bekam – brachte alles nichts! Weder Einschlaf-Tees, noch irgendwelche Dragees und auch kein Abendspaziergang.

Ich hatte irgendwann zu nichts mehr Lust und auch wenig Kraft. Ich traute mich gar nicht mehr, meinen Körper noch mehr zu verausgaben, für Sport hatte ich eh keine Energie, ich hörte auf abends wegzugehen, weil mich das sehr anstrengte. Lernen fiel mir in dieser Zeit extrem schwer, ich war aber immer sehr ehrgeizig und irgendwie kam ich mit viel Selbstdisziplin gut durch. Ich glaube nicht, dass die Leute um mich herum das verstanden hätten. Wenn mal einer erzählte, er hätte ja so schlecht geschlafen, dann dachte ich mir immer nur “Wenn du wüsstest wie es ist, das jede Nacht durchzumachen”. Ich ging zum Arzt, der mir erzählte, ich solle mal Meditieren versuchen und mehr Sport machen. Ich war danach so enttäuscht, weil ich dachte, der nimmt mich nicht ernst. Irgendwann wurde ich ein wenig paranoid. Ich nahm an ich sei vielleicht richtig krank oder sowas, also machte ich einen Termin beim Neurologen. Der Besuch war zwar furchtbar, weil ich mir sehr seltsame Fragen anhören musste, aber ich bekam zumindest ein Rezept: Zopiclon. Im Beipackzettel stand, dass man abhängig werden kann und das Medikament nicht länger als zwei Wochen am Stück nehmen solle. Ich dachte mir, was soll’s! So krass kann’s doch gar nicht sein! Nach der Einnahme der Tablette überkam mich nach einigen Minuten ein wohliges, schläfriges Gefühl. Ich konnte richtig spüren, wie sich mein Kopf entspannte, das Gedankenkarussel wurde durch lustige Halluzinationen ersetzt und ich schlief tatsächlich ein.“

Die am häufigsten verschriebenen Schlaf- und Beruhigungsmittel sind sogenannte Benzodiazepine (Valium zum Beispiel ist ein bekannter Vertreter dieser Gruppe) und Benzodiazepin-Analoga, die “Z-Drugs” wie Zolpidem, Zopiclon und Zaleplon. Allein im Jahre 2012 wurden Rezepte für Z-Drugs knapp 8 Millionen mal ausgestellt. Chemische Schlafmittel haben mehrere Nachteile. Sie machen psychisch abhängig, der Körper gewöhnt sich sehr schnell daran und fordert bald eine höhere Dosierung. Man meint, ohne die Tablette nie mehr überhaupt richtig einschlafen zu können und auch der Körper wird abhängig. Nach einer Weile ist der natürliche Schlafrhythmus derart gestört, dass man von der Tablette tagsdrauf wie zerfahren ist. Wer das Schlafmittel absetzt, verspürt ähnliche Entzugserscheinungen wie bei Drogen: Schwitzen, Zittern, Angstzustände sowie depressive Stimmungen.

„Am nächsten Tag war ich einfach nur glücklich. Seit Wochen war ich das erste Mal nach kurzer Zeit eingeschlafen. Daher nahm ich auch alle restlichen Tabletten in den nächsten Tagen. Schon bei der letzten beschlich mich das Gefühl, wie es wohl morgen ohne sein wird. Und tatsächlich, ich konnte mal wieder nicht einschlafen und war völlig frustriert. Ich holte mir ein neues Rezept, immer wieder. Doch irgendwann reichte eine Tablette nicht aus und ich nahm zwei, am nächsten Tag kam ich kaum aus dem Bett, ich hätte auch bis mittags schlafen können. Ich fühlte mich einfach nur müde, war total durch und irgendwann schon wusste ich gar nicht mehr, wie es ist, wenn man sich normal ins Bett legen und einschlafen kann, oder wie es ist, wenn man so richtig fit ist und sich nicht müde fühlt. Ich probierte es immer mal wieder, auf die Tabletten zu verzichten, doch es ging nicht. Ich war mittlerweile total abhängig. Wenn ich mal keine da hatte, machte mir das Schlafengehen schon Stunden vorher Angst, obwohl es doch eigentlich so toll ist, sich abends endlich zu erholen. Aber es ging nicht mehr ohne Zopiclon, obwohl ich mich davon schlecht fühlte.“

Als Luisa sich für einen Master entschied, fasste sie den Entschluss von dem Schlafmittel wegzukommen. Die Tabletten nahmen mittlerweile einen sehr hohen Stellenwert in ihrem Leben ein, die Abhängigkeit war zu einer übergroßen Last geworden und sie wollte nicht ihr Leben lang nur mithilfe von Tabletten schlafen. Über das Internet erfuhr sie von einer Schlafschule bei einem speziell dafür geschulten Psychologen und meldete sich an. Dort lernte sie in einer mehrwöchigen Gruppentherapie, wie sie ihre Schlafstörungen in den Griff bekommt, inklusive Schlaftagebuch und spezieller Entspannungsmethoden. Sie akzeptierte jetzt auch, dass sie nun mal keine Person war, die nach 2 Minuten im Bett sofort einschläft. Zu Beginn der Therapie, bei denen auch andere Leute von ihren Schlafstörungen erzählten, hörte sie auf Zopiclon zu nehmen, der Entzug war schwer, aber machbar. Nach einigen Wochen konnte sie zu festen Uhrzeiten immer einschlafen und hatte auch keine Angst mehr davor, ins Bett zu gehen.

Bis heute versucht Luisa, ihren Schlafrhythmus immer gleich zu halten, egal ob Urlaub oder Wochenende. Sie arbeitet mittlerweile und hat mal bessere und mal schlechtere Nächte. Sie gerät dann nicht mehr in Panik, sondern versucht, einen Ausgleich zu schaffen, wenn Stress und zu viele Verpflichtungen sie überkommen. Die Schlaftabletten nimmt sie nicht mehr, rät aber jedem, früh genug Hilfe bei Freund*innen und der Familie zu suchen, denn eine Schlafstörung ist nichts, wofür man sich schämen muss. In vielen Fällen kann das Aussprechen von Sorgen und Ängsten bereits sehr gut helfen, um wieder auf die Spur zu kommen und nicht in Depression zu verfallen.